Donald: Konditionen einer Karriere

Alles Käse (Foto-Collage: #Morrien)

Birgitt E. Morrien

1950 Donald, der Kleine

„Willst du mich haben?“, ist das Erste, was ich von ihm erinnere. Da war er vier und stand in der Küche vor mir, wo ich gerade einen Teig anrührte für einen Kuchen. „Das würde ich sehr gern“, antwortete ich ihm und nahm ihn auf den Arm, „aber das geht leider nicht!“ Wie auch, tagsüber diente ich seinen Eltern und abends warteten meine eigenen Kinder auf mich.

In der Nacht darauf hatte ich einen Traum, den ich nie vergessen sollte: Der kleine Donald war erwachsen geworden, sogar alt, behielt aber das Gesicht eines Dreijährigen. Ich sah ihn nur flirten, fluchen und feiern. Und nahm die Alterung wahr, die zwar seine Gestalt veränderte, nicht aber den Ausdruck des Kindes, das damals verzweifelt vor mir stand. Des Kindes, das wütete, bis der Vater ihn leise schlug, weil die Mutter ihn nicht bändigen konnte.

Die Mutter war oft krank, hatte sich als Immigrantin still in besseren Verhältnissen eingerichtet und sich ihrem Mann in jeder Hinsicht untergeordnet. Die arme Herkunft zu vergessen, war ihr dringlichstes Ziel. Und auch Donalds Vater schien nichts mehr zu fürchten als die eigene Verarmung. War doch dessen Vater noch aus erbärmlichen Verhältnissen von Deutschland in die USA geflüchtet.

Unter anderem als profitabler Zuhälter war Donalds Großvater seinerzeit gestartet. Und auch er hatte einen Traum gehabt, den er nie vergessen sollte. Da stand eine Woman of Color vor ihm und verfluchte ihn: „Wenn ein Mann nicht versteht, dass Prostitution keine gewöhnliche Dienstleistung ist, verspreche ich ihm, dass er im nächsten Leben eine Frau sein wird, die anschaffen geht, und ich ihr Kunde, dem er auf Geheiß mal so richtig einen blasen darf.“*

Dieser Traum starb mit dem Großvater, übersprang eine Generation, tauchte dann jedoch für Donald völlig unerwartet in dessen Nachtleben, also im Schlaf, wieder auf. Als der Fluch ihn erstmalig einholte, stöhnte er plötzlich so jämmerlich laut, dass die Frau, die gerade bei ihm lag, aufschrie, so hatte sie sich erschrocken. Um dem Fluch, den er träumend vernommen hatte, seine Macht zu nehmen, beschloss er, sich seiner Überlegenheit gegenüber Frauen ohne Unterlass zu vergewissern, indem er sie benutzte, wo er nur konnte, vor allem sexuell. Nicht ahnend, dass einem Fluch so nicht beizukommen ist.

2020 Donald, der Große

Nun bin ich selbst in meinen Neunzigern, was unglaublich ist. Unglaublicher aber ist, dass der kleine Donald in seinen Siebzigern ist, selbst ein alter Mann. Doch noch immer kann ich in seinem Ausdruck den kleinen verzweifelten Jungen erkennen, der damals entweder weinte oder wütete.

Nachdem meine Familie früh zurück nach Mississippi gezogen war, damals war Donald sieben, hatte ich ihn und seine Familie irgendwann vergessen. Erst durch seinen Wahlkampf um die Präsidentschaft vor einigen Jahren bin ich über die Medien wieder mit ihm in Berührung gekommen. Und erfuhr auch erst da, dass sein älterer Bruder längst verstorben ist.

Was Donald über Aggression regelte, regelte der ältere Bruder über Autoaggression. Schon damals fehlte Letzterem die notwendige Resilienz, die die drei Schwestern als Mädchen früh entwickeln mussten, um ihre Benachteiligung zu kompensieren. Als älterer Bruder war er sich sicher, der Nachfolger des väterlichen Imperiums zu sein. Doch interessierte ihn schon immer mehr das Fliegen als der Handel.

Wo der Ältere sich dem väterlichen Diktat verweigerte, ohne sich jedoch vom Vater lösen zu können, keilte sich der kleine Donald mit einem ebenso sicheren wie ruchlosen Machtinstinkt den Weg nach oben in der brüderlichen Hierarchie. Dem Vater gefallen wollen, das war sein Credo, auffallen und gelten um jeden Preis. Auch auf Kosten des Bruders, auf Kosten aller! Offenbar spürte Donald, dass es seinem Vater zwar keineswegs an Vermögen, wohl aber an gesellschaftlicher Anerkennung mangelte.

Das war die Chance des Jüngeren, die er konsequent nutzte: sich selbst als Helden inszenieren, als Selfmademan erster Güte und so mit dem Lobpreis des eigenen Namens den tiefsitzenden Makel des armen Migranten ausmerzen, der den Vater noch immer quälte. Da Donald selbst jener erfolgreiche Geschäftssinn fehlte, über den die Vorfahren verfügten, war er mit allem, was er tat und worin er vielfach scheiterte, auf die Finanzierung durch den Vater angewiesen. Und seine Rechnung ging auf, das Geld floss für ausnahmslos alle seine amourösen und wirtschaftlichen Vorhaben

Dem älteren Bruder dagegen wurde jede nennenswerte Unterstützung verwehrt. Als schwerer Alkoholiker starb er schließlich in seinen frühen Vierzigern im elterlichen Haus. Von Donald längst verlassen und vergessen, der nichts mehr fürchtete als den Blick in die eigene frühe Unbedeutendheit und das brutale Gefühl von Verlassenheit und Ohnmacht.

Wo der Vater in einer Art rasendem Profitwahn schon früh jegliche Empathie über Bord geworfen hatte – auch in der Familie zählte nur, was und wer Profit abwarf –, übernahm Donald dieses Vorgehen und übertrug es auf sein gesamtes Leben. Doch tauchte die Gier in ihm nun als purer Geltungswahn auf, nicht minder rasend, um die Kränkung der Ahnen wettzumachen, die auch ihm noch in den Knochen saß und sitzt.

„Willst du mich haben?“, schluchzte er damals. Heute schreit er in die Welt hinaus: „Du musst mich einfach (lieb) haben wollen!“

2030 Donald, dement

Es ist nur wenige Tage vor der 2020er-Wahl, als seine Frau den alten, schlimm stöhnenden Mann nachts aufweckt, der sich neben ihr im Bett wälzt. „Was ist denn, Donald, was ist denn bloß?“, ruft sie und rüttelt ihn wach. Er wischt sich die trüben Augen, sagt aber nichts, schluckt nur schwer, ringt um Luft. Gerade noch hat er vor diesem großen Mann gekniet**, der mit runtergelassener Hose vor ihm steht. Er selbst, eine Woman of Color, vollkommen nackt, diesem zu Diensten. Ein Schrecken, dieses Schlucken, noch im Erwachen, als müsse sie, ach er, an dieser Pein ersticken. Er spuckt und spuckt es aus, dieses ekelerregende Gefühl, fällt halb aus dem Bett, so übel ist ihm. Absolut grauenhaft, diese totale Demütigung. Gerade würde er am liebsten sterben!

Donald stirbt nicht. Doch in dieser Nacht setzt sein Vergessen ein. Sehr langsam zunächst, kaum spürbar für die Umgebung. Ihm selbst fällt es als Erstem auf, wie er Dinge verlegt und Kleinigkeiten vergisst, und er kann es noch vertuschen für eine Weile. Doch schließlich, wie schon sein Vater, taucht auch er ab in die völlige Umnachtung, um noch Jahre im elterlichen Haus dumpf dahinzusiechen.

Das letzte Bild, das man vom lebenden Donald in den Medien sah, die Gestalt eines wirren Alten, das goldgelbe Toupet quer übers Gesicht gerutscht, sabbernd wie ein Kleinkind. Ein Paparazzo hatte es geschossen, ohne dafür allerdings das erhoffte Honorar zu kassieren. Es interessierte sich niemand mehr für Donald.

 

*Akwaeke Emezi: Süßwasser. Aus dem Englischen von Anabelle Assaf und Senthuran Varatharajah. Eichborn Verlag, Köln 2018, 24 Euro.

** “Das würde ja ein hübsches Bild abgeben, Sie so auf den Knien.”, sagte Trump zu einer Kandidatin der von ihm mitproduzierten Show The Celebritiy Apprentice, bei der er auch selbst auftrat.

Quelle: #METOO, S.29  s.u. Literaturtipps: Kantor & Twohey verweisen auf Celebrity Apprentice. All-Stars, Staffel 6, Episode 1, ausgestrahlt am 3. März 2013 auf NBC; Mark Graham, “Did Donald Trump Just Utter the Most Blatantly Sexist Statement in the History of Broadcast Television?” VH1, 5. März 2013, http://www.vh1.com/news/84410/donald-trump-brande-roderick-on-her-knees.

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Literaturtipps
Mary L. Trump: Zu viel und nie genug. Heyne Verlag, München 2020. 22 Euro.
Jodi Kantor & Megan Twohey: #METOO. Von der ersten Enthüllung zur globalen Bewegung. Tropen / J.G. Cotta’sche Buchhandlung, Stuttgart 2020

 

Birgitt E. Morrien: Bücher für sinnstiftende Karrieren

 

 

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