Überzeugend durch die Hölle führen

Kurskorrektur durch den inneren Seismographen

Hermann Hesse

Die sich an mich wenden, die bei mir "Weisheit" suchen, sind beinahe ohne Ausnahme Menschen, denen kein überlieferter Glaube helfen konnte. Viele von ihnen habe ich auf die alten Weisen und Lehren verwiesen, habe namentlich auch die Schriften einiger heutiger Katholiken von Rang mit Nachdruck empfohlen.

Die Mehrzahl mener Leser aber ist eben darin mir viel zu ähnlich, daß sie einen verhüllten Gott verehren muß. Vielleicht sind es nur die Kranken, die Neurotiker, die Unsozialen, die sich zu mir und meinen Schriften hingezogen fühlen, vielleicht ist der einzige Trost, den manche von ihnen bei mir finden, der, daß sie bei mir, dem Mann von Namen, ihre eigene Not und Schwäche wiederfinden.

Mir liegt nicht ob, mich zu irgend einer Sendung zu "entschließen", wie es mitunter von mir gefordert wird, sondern an dem Ort, an den mich das Geschick gestellt hat, das mir Mögliche zu tun. Dazu gehört unter anderen: nicht mehr zu geben (oder zu versprechen), als ich habe.

Ich bin ein Leidender unter der Not unserer Zeit, nicht aber ein Führer aus ihrer heraus, ich bin gewillt, sie wie eine Hölle zu durchschreiten, in der Hoffnung, jenseits eine neue Unschuld und ein würdiges Leben zu finden, aber dieses Jenseits schon für ein Jetzt und Hier auszugeben, dazu bin ich nicht imstande.

Ich glaube darum nicht, daß mein Leben ohne Sinn, daß ich ganz ohne Mission wäre. Das Ausharren inmitten des Chaos, das Wartenkönnen, die Demut vor dem Leben, auch wo es durch anscheinende Sinnlosigkeit beängstigt, auch sie sind Tugenden, zumal in einer Zeit, wo neue Erklärungen der Weltgeschichte, neue Sinngebungen des Lebens, neue Programme jeder Art so wohlfeil sind. (1932)

Quelle:
Hesse, Hermann: Mein Glaube. Frankfurt: Suhrkamp Verlag 1971

 

Sinnstiftende Karrieren

 

 

 

 

 

 

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