Ein neues Jahr der Begegnungen

Auf dem Weg. (Foto: Plum Island – Parker River Refuge, Newburyport, Massachusetts / Foto: Pat Bashford)

Für Amelie Maria Morrien (*2021)

 

Verwandelt

Uns allen wünsche ich
ein gutes neues Jahr / voll
vitalisierender Begegnungen
und Stunden der Stille im Sturm.

Uns allen wünsche ich
Bereitschaft zur Begegnung
mit Andersdenkenden / streitbar –
doch friedlich gesinnt.

Mich selbst erinnere ich daran,
dass sich das Wunder da auftut,
wo wir mit geduldiger Entschiedenheit
auf Lösungen ausgerichtet bleiben.

Dass wir zupacken* können, viel aushalten
und so ein ganzes Land neu aufbauen, ja,
das haben wir bewiesen. Nein zu sagen,
taub zu sein gegen inneres Bedürfen, auch das!

Im Gesicht der anderen aber
springt uns der Schatten dessen an,
was wir über Jahre tief in uns verborgen haben –
darüber uns selbst fremd geworden sind.

Sich darin anzusehen, welch ein Wagnis!
Sich selbst nicht, den anderen gleich, schnell
abzuwehren, welches Ansinnen. Diesem Anblick
standzuhalten – der Anfang neuen Lebens!

Doch bedarf es ausdauernder Beharrlichkeit,
damit gelingt, was der neuen Kraft bestimmt ist:
die Schale alter Begrenzungen für immer zu sprengen,
wenn die Zeit reif ist – vollkommen gewandelt!

Das alles ist kein Glaube, es ist Gewissheit.
Doch zu glauben, was wir wissen, gelingt
bei all’ gekonnter Rede über die Vielfalt
am Ende nur den zur Einfalt Fähigen.

Birgitt Morrien

 

PS: Das letzte Fotomotiv meiner ehemaligen Professorin für Fotografie an der Boston University, Pat Bashford (1929–2021)

 

* Meine Lektorin merkt hier an:
Unter „wir“ verstehe ich zuerst die aktuell Lebenden. „Land neu aufbauen“ – da denke ich an den Zweiten Weltkrieg oder vielleicht noch an die Wiedervereinigung. Was hast du hier im Sinn? Ich selbst habe nicht das Gefühl, (als Generation) etwas neu aufgebaut zu haben. Eher habe ich den Eindruck, an viel Zerstörung (Umwelt etc.) beteiligt zu sein.

Meine Hinweise dazu:
Es stimmt, was sie sagt, unbedingt. Dennoch habe ich (*1959) das Gefühl (!), die Republik nach dem Krieg mit aufgebaut zu haben. Doch wohl nur deshalb, weil ich die Kriegszeit meiner Eltern wach in mir trage, die mein Vater als sehr junger Soldat und meine Mutter als Jugendliche erlebt haben. Die Last ihres Traumas ruhte vermittelt auch auf meinen Schultern und brach sich schon mal Bahn in schreckensvollen Kriegsträumen.

Indem ich die emotionale Last (kollektiv) verdrängter Kriegserfahrungen mittrug, fühle ich mich am Aufbau der Republik beteiligt. Dass die Verdrängungsleistung meiner Elterngeneration dazu geführt hat, mitunter schaffend zu wüten, ohne an die (sozialen und ökologischen) Folgen zu denken, ist mir heute bewusst.

Dieses schaffende Wüten habe ich als junge Gründerin zunächst selbst wiederholt. Die unbewusst fortgesetzte Verdrängung alter Schmerzen und Überlebensängste hat meinen Ehrgeiz immens befeuert. All dieses Leid nicht fühlen zu wollen machte mich wie die Eltern zur Akteurin, die bereit war, über Jahre weit über viele Grenzen zu gehen.

Durch die therapeutische Arbeit an mir selbst konnte ich diese Mechanismen später jedoch erkennen und zumindest teilweise auflösen. Erst durch diese Arbeit war es möglich, mich mir selbst, anderen und der Umwelt gegenüber bewusster zu verhalten, i.d.S. buchstäblich selbstbewusster. Seither habe ich meinen „Leistungsinstinkt“ kritisch im Blick.

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