Erweiterte Druckversion des Beitrages in SPIEGEL Online über das Coaching mit DreamGuidance bei Birgitt Morrien. Das Interview führte Kai Oppel, inzwischen selbstständig mit eigener Agentur.
Was ist das Problem bei normalen Coachings/Karriereberatungen bezüglich der Perspektivenklärung?
Als klassisch Beratende würde ich einen Klienten etwa fragen, wo er in fünf Jahren stehen will. Da ich es im Coaching grundsätzlich mit hochqualifizierten Leuten zu tun habe, gibt mir mein Klient auf diese Frage sicher eine plausible Antwort. Das genau ist das Problem! Denn ihm dienen bisherige Denk- und Handlungsroutinen als Grundlage für eine besser gedachte Zukunft. Diese Routinen sind aber genau die Ursache für die aktuelle berufliche Unzufriedenheit bzw. Unklarheit. Und so entwickeln wir keine gute Ausgangsposition für wichtige Entscheidungen.
Aus diesem Grunde habe ich bereits vor Jahren damit aufgehört, meine Klienten mit nutzlosen Fragen nach ihrer Zukunft zu behelligen. Denn diese befinden sich in der Beratungssituation in einer Veränderungsphase, wo Vergangenes nicht mehr gilt oder verloren ist und sich die Zukunft noch in Nebel hüllt. Diese Phase ist wie eine Leerstelle zwischen zwei Punkten. In diesem Raum ist noch alles möglich. Zugleich wirkt diese Fülle an Möglichkeiten mehr oder weniger verunsichernd. Und Unsicherheit verengt den Blick. Das Wort „Angst“ verdeutlicht diesen Zusammenhang sehr schön vom Sprachstamm her: „angustia“ steht für „die Enge“. In der Beratung bin ich nur dann erfolgreich, wenn ich diese Klippe möglichst elegant umschiffe, um den stark ersehnten weiten Horizont neu freizulegen.
Um das zu erreichen verbinde ich kognitives und intuitives Vorgehen: Bei der Bestandsaufnahme gehe ich immer klassisch vor. Die Vision generiere ich jedoch via angeleiteter mentaler Zeitreise. Ich führe den Klienten in ein sehr spätes Lebensjahr, wo er sich aus der gelasseneren Perspektive des alten Menschen an kostbare Lebensmomente erinnert. Erst diese Distanz zur augenblicklich bedrängend erlebten Situation öffnet den weiten Blick und legt so frei, was unter dem Druck des Augenblicks verschüttet war.
Diese Sammlung kostbarer Lebensmomente steht nun da als Autorität einer von augenblicklichen Umständen unabhängigen Vision. Davon wird dann die konkrete Zielsetzung der kommenden drei bis fünf Jahre abgeleitet. Dieses Vorgehen wirkt unglaublich befreiend, da es kein Kopfzerbrechen kennt und sich darauf beschränkt, zu folgen. Manchmal korrigiert sich so eine Haltung, manchmal werden aber auch Entscheidungen getroffen, die den beruflichen Weg ganz neu akzentuieren.
In welchem Zustand befinde ich mich als Coachee während der Zeitreise? Ich war während der P/Review ja voll da, also nicht hypnotisiert. Warum denke ich dennoch andere Dinge, als wenn wir uns Face2Face unterhalten hätten?
Die von mir als mentale Zeitreise angelegte P/Review-Technik funktioniert als angeleiteter Tagtraum bzw. Trance im Sitzen oder im Liegen. Dabei tritt das Wachbewusstsein ein Stück weit zurück, ohne dass jedoch die Kontrollfunktion ganz aufgegeben wird. Anders als im Traum ist sich der Reisende durchgängig bewusst, dass er im mentalen Raum unterwegs ist.
Zugleich stimuliere ich sprachlich eine Atmosphäre der Ruhe, in der sich das Bewusstsein zunehmend entspannen kann. So öffnet sich langsam der Raum für innere Wahrnehmungen*. Wir nähern uns dabei der sogenannten Theta-Schwingung des Gehirns (4-7 Hz), ein Wert ähnlich etwa dem in der Einschlafphase und während der REM-Phase des Träumens.** Neurophysiologisch gesprochen ist das Gehirn in diesem erweiterten Bewusstseinszustand um das Vierfache stärker aktiv als im sogenannten Wachzustand.***
*Wir können hier von Wahrnehmungen sprechen statt von Imaginationen, wenn wir Stephen LaBerge und Philip Zimbardo von der Universität Stanford folgen, die 2000 entsprechende Experimente mit Träumenden durchgeführt haben.
** Joachim Faulstich, Fachbuchautor zu Trancefragen und TV-Dokumentarist.
*** Mona Lisa Schulz, promovierte US-Intuitionsexpertin und Buchautorin.
Wie sehr wird das Unterbewusstsein im Coaching bei Karrierefragen bisher berücksichtigt? Warum vertrauen die Menschen vergleichsweise wenig auf das Unterbewusstsein?
Das Unterbewusstsein wird im Coaching generell zuwenig berücksichtigt, wenn Sie mich fragen. Schon der Begriff des „Unter-Bewusstsein“ gibt Aufschluss über die Entwertung der Ressource. Wir könnten genauso gut vom Überbewusstsein sprechen. Passend finde ich keine der beiden Bezeichnungen, denn sie wollen linear verorten, was mit den Kategorien der mechanischen Physik einfach nicht auszuloten ist. Da die „alte“ Physik sich von der Sache per Lineal also keinen Begriff machen konnte, war sie also auch nicht existent: Sie konnte oder wollte sie nicht begreifen.
Seit der Aufklärung haben erweiterte Bewusstseinszustände in der Bildung daher kein Zuhause mehr und vagabundierten heimatlos durch die westliche Welt. Hier hat erst Freud die diffamierte Ressource durch die Tür der Medizin wieder hoffähig gemacht. Bedauerlicherweise hält man sie allerdings seither für eine Verwandte der Kranken. Und von dieser Zuschreibung werden sich Traum und Trance als erweiterte Bewusstseinszustände in diesem Jahrhundert noch befreien dürfen, denn ihre Schätze werden mehr denn je gebraucht werden.
Was hat Ihr DreamGuidance-Konzept mit neuerer Physik zu tun?
Die Techniken des DreamGuidance-Konzeptes umfassen auch solche, die direkt in den Raum des erweiterten Bewusstseins reichen. Um diese benennen zu können, braucht es neue Begriffe, die sich nur im Raumverständnis der neueren Physik finden. Nur diese emanzipierte Physik bietet theoretische Modelle, die aus Traum und Trance vertraute Phänomene erfassen können: Etwa Bilokation oder Teleportation. An zwei Orten gleichzeitig zu sein oder sich im Augenblick an einen fernen Ort zu beamen, schien bisher nur in Traum und Trance möglich.
1997 hat die neuere Physik diese Phänomene auf der Quantenebene experimentell nachgewiesen. Es ist kein Wunder, dass Anton Zeilinger enge Kontakte zum Dalai Lama unterhält, um sich mit diesem über die spirituellen Implikationen seines experimentellen Erfolgs auszutauschen.
Mit meinen Klienten reflektiere ich in der Regel ganz praxisnah berufliche Fragestellungen. Zugleich liegt mir daran zu zeigen, dass ich mit DreamGuidance die Brücke schlage zwischen archaischen Ekstasetechniken auf der einen Seite und den Erkenntnissen avantgardistischer Physik auf der anderen. Dabei interessiert mich der Nutzen, den die Ressource des erweiterten Bewusstseins als Lösungspotenzial für die komplexen Fragen unserer Zeit auch im Berufsleben bereithält. Und ich kann es nicht dulden, dass längst überlebte Vorurteile uns daran hindern sollten, die noch unentdeckten Weiten der mentalen Kontinente mutig zu bereisen, um dabei für unser Leben zu lernen!
Wann vergessen Menschen im Leben normalerweise ihre Träume bzw. Wünsche und warum? Wann erinnern sie sich wieder?
Die größten Vergessensmacher sind mangelnde Wertschätzung für erweiterte Bewusstseinsformen und hoher Anpassungsdruck an vorgegebene Denknormen. Wo die Wertschätzung für die eigenen Träume und Wünsche fehlt, fällt das Vergessen leicht. Mit einer solchen Haltung lässt sich kein neuer Bewusstseinsraum erkunden. Wem die eigenen Träume gestohlen bleiben können, dem enthalten sie sich auch vor. Wer sich an etablierte Denktraditionen zu eng anschmiegt, verliert eigene Wünsche leicht aus den Augen.
Die größten Türöffner zu vergessenen Bewusstseinsräumen sind seit jeher Krisen. Wenn sich ungewollt etwas für uns ändert, wenn uns vertrautes Terrain verloren geht, dann fällt uns der Schlüssel zu Räumen in den Schoß, die wir längst vergessen zu haben glaubten. Ob wir einen Job verlieren oder allein den Karrieresprung ins fremde Ausland wagen, immer wenn wir uns von etwas trennen müssen, bricht zugleich Neues dafür auf. Auf dieser Schwelle öffnen wir uns in der Regel für neue innere und äußere Möglichkeiten. Das ist der Raum, in dem Coaching neue Begegnungen begleitet: mit sich selbst, veränderten Umgebungen und Menschen.
Wie viele Menschen haben Sie bisher nach der DreamGuidance-Methode begleitet?
Im Laufe der mehr als zehn Jahre meiner selbstständigen Beratungstätigkeit dürften es viele Hunderte gewesen sein, sei es im Einzel-Coaching oder in Seminaren.
Trauen die Klienten ihren eigenen Träumen? Setzen sie diese um?
Manche Klienten leben ihren Traum schon, ohne es zu wissen. Wenn das Dream-Coaching zeigt, dass eigentlich alles in Ordnung ist, findet eine Haltungsänderung statt. Dies passiert, wenn ein Klient im Beratungsprozess begreift, dass die Unzufriedenheit mit seiner Arbeit aus einer Selbstentwertung herrührt, die als Ursache etwa unerfüllte väterliche Erwartungen entdeckt.
Manche Klienten entdecken eine Zukunftsperspektive, die sie zwar im Augenblick noch nicht umsetzen möchten, die ihnen aber als mentaler Leuchtturm Orientierung für ihre aktuellen Entscheidungen bietet. Sie vertagen die Realisierung auf einen späteren Zeitpunkt und bereiten diesen aktiv vor: Etwa das Geld zu sammeln für ein Sabbatjahr.
Manche Klienten beschließen, ihren beruflichen Lebenstraum sofort umzusetzen, auch wenn dieser ihr bisheriges Leben radikal verändert: Jemand kündigt von sich aus eine sichere, aber wenig erfüllende Anstellung und macht sich mit einer ihn beflügelnden Geschäftsidee selbstständig. Eine andere Klientin wagt den Sprung in die Managementebene in Shanghai.
Sie erfassen für die Universität Köln auch auf wissenschaftliche Weise Material. Gibt es bereits Zahlen aus der Studie, die Sie nennen könnten?
Im aktuellen Datenpool befinden sich die dokumentierten Beratungsprozesse von mehr als hundert Klienten, die ich in den vergangenen fünf Jahren als Teilnehmer/innen des Forschungsprojektes nach meinem DreamGuidance-Konzept beraten habe. Da die Arbeit als Langzeitstudie auf zehn Jahre angelegt ist, möchte ich mit Zahlen nicht vorgreifen, bevor wir 2011 die Endauswertung vornehmen. (Ergänzender Hinweis 2012: Die DreamGuidance-Studie liegt als Kooperationsprojekt mit der Universität Hannover inzwischen vor.)
Erst dann wird sich zeigen, ob die bereits von betroffenen Klienten in der Presse dokumentierten Einzelerfolge ebenso nachhaltig wie breitenwirksam sind. Bis dahin gibt es weiterhin Fallgeschichten und Teilnehmer-Feedbacks auf meiner homepage, in meinem virtuellen Logbuch Coaching-Blogger.de und in weiteren Buchprojekten.
Könnten Sie mir interessante Gesprächspartner empfehlen, die ebenfalls abgetretene Pfade verlassen haben und neue Möglichkeiten zu entdecken versuchen?
Mir fällt spontan ein junger Avantgardist der Kommunikationsbranche ein, der zurzeit mit spannenden Ausführungen zum Thema Kunst & Marketing die Beratungsszene inspiriert. Christopher Peterka spricht von ARDS. Hinter dem Kürzel verbirgt sich kein kryptischer Buchtitel, sondern die Erfolgsformel "Ads & Art = Ards" des Kölner Markenkommunikators und Agenturgründers. Nachzulesen im aktuellen GDI-Impuls, dem renommierten Schweizer Wissensmagazin:
www.gdi-impuls.ch (siehe Peterkas Bericht "Hello World")
PS: Der Traum-Raum teilt im übrigen das Schicksal des Cyber-Raums. Beide sind nach den Kriterien der mechanischen Physik praktisch nicht existent. Nutzen kann und sollte man solche Räume aus guten Gründen aber dennoch, denn die alte Physik hat sich überlebt.
Wir haben uns schließlich auch daran gewöhnt, hier etwas zu sagen, was anderswo gehört werden kann. Und Fernsprechen war erst der Anfang weitreichender neuer Möglichkeiten, von denen unser Denken und Handeln bisher noch kaum Notiz genommen hat.
Hinweis: Inteview-Erstveröffentlichung im Coaching-Blogger am 19.01.2007
Aktuelle Literaturtipps zum Coaching mit DreamGuidance bei Birgitt Morrien:
Seit einigen jahren veröffentlicht Coaching-Blogger fortlaufend Klientenberichte über Erfahrungen im Coaching mit DreamGuidance bei Birgitt Morrien. In ihrem Buch "Coaching mit DreamGuidance – Wie beruflich Visionen Wirklichkeit werden" berücksichtigt die Kölner Management-Autorin diese Feedbacks in Auszügen. Die Publikation (Kösel / Random House) ist jetzt als eBook kostenlos im Gratis Download verfügbar. 51 Coaching Case Studies & Stories sind im Coaching-Blogger >Themen >Fallgeschichten online veröffentlicht.