Manchmal nennen mich die Leute, die mich loben wollen, intelligent. Und dann wundern sie sich, wenn ich sage, Intelligenz sei nicht meine Stärke und ich sei nicht intelligenter als andere auch. Zuletzt denken sie dann noch, ich sage das aus Bescheidenheit.
Sicher verfüge ich über eine gewisse Intelligenz: Zum Bweis habe ich ein Universitätsstudium hinter mir und reichlich Situationen, aus denen man dank seiner Intelligenz unbeschadet hervorgeht. Einmal abgesehen davon, daß ich, wie viele andere, in der Lage bin, als schwieig geltende Texte zu lesen und zu verstehen.
Doch oft ist meine sogenannte Intelligenz so spärlich, als wäre mein Geist blind. Die Leute, die über meine Intellienz reden, verwechseln in Warhheit Intelligenz mit dem, was ich als intelligente Sensibilität bezeichnen will. Eine solche habe ich tatsächlich mehrfach bewiesen und besitze sie vielleicht auch noch.
Und obwohl ich Intelligenz im Reinzustand bewundere, erscheint mir diese intelligente Sensibilität wichiger zu sein, wenn es darum geht, zu leben und andere zu verstehen. Intelligent sind fast alle Leute, die ich kenne. Unsd sensibel auch, also in der Lage, etwas zu empfinden und davon bewegt zu sein. Was ich jedoch in meinen Schreiben einsetze, und auch in meinen Beziehungen zu Freunden, das ist diese Art von Sensibilität. Ich setze sie selbst in beiläufigen Begegenungen mit anderen Menschein ein, deren Ausstrahlung ich häufig unmittelbar erfasse.
Ich vermute, diese Art von Sensibilität – die sich nicht nur bewegen läßt, sondern vielmehr denkt, ohne dies gleichsam mit dem Kopf zu tun -, diese Sensibilität ist vermutlich eine Gabe. Und als Gabe kann sie durch Mangel an Gebrauch verkümmern oder sich durch Gebrauch vervollkommnen.
Ich habe zum Beispiel eine Freundin, die neben ihrer Intelligenz ebenfalls die Gabe der intelligenten Sensibilität besitzt und aus beruflichen Gründen ständig davon Gebrauch macht. Sie verfügt nun über etwas, was ich als intelligentes Herz bezeichnen möchte, und zwar in so hohem Maße, dass es sie und andere leitet wie ein Radar.
Über die Autorin:
In seiner Biografie nennt Benjamin Moser die brasilianische Schriftstellerin eine "Mystikerin mit einer ungeheuren Ausstrahlung", auch ein "mystisches Genie und Intellektuelle". Sie bietet "in ihren ungeheuer ausdrucksvollen Texten einen Spiegel der eigenen Seele". Als eines ihrer Hauptwerke gilt Die Passion nach G.H.
Siehe auch: "Ich bin ihr alle". Clarice Lispectors Kolumnen im Jornal do Brasil. Mit einem Porträt von Benjamin Moser. In: Schreibheft. Zeitschrift für Literatur. Nr. 81, August 2013