Wer entschieden ist, einmal eine ganz besondere Reise machen zu wollen, mag an Bhutan denken. So ging es in diesem Jahr Birgitt Morrien, die sodann für einige Wochen dieses sagenumwobene Königreich im Himalaja erkundete. Ihr Bericht dazu steht jedoch noch aus. Sie empfiehlt daher die ebenso informativen wie humorvollen Reiseaufzeichnungen der US-Journalistin Lisa Napoli, gerade als Buchneuheit „Radio Shangri-La“ (bei J. Kamphausen) erschienen. Die Leiterin des gleichnamigen bhutanischen Radiosenders wirft einen spirituellen Blick auf ein kleines Land, das mit dem Bruttonationalglück eine großartige Alternative entwickelt hat.
Maren Brand
Weltweit lassen Politiker sich von Bhutans vielgepriesenem Bruttonationalglück inspirieren. Was passiert, wenn ein ganzes Land das Glück der Einwohner über das wirtschaftliche Wachstum stellt? Die amerikanische CNN-Journalistin Lisa Napoli beschließt in einer tiefen Sinnkrise, dem Geheimnis des Himalaya- Königreichs auf den Grund zu gehen. Der Auftakt für ein beherztes Abenteuer, das ihr gesamtes Weltbild auf den Kopf stellt und sie zur Leiterin einer Radiostation in Bhutan macht.
Napolis Reisebericht vermittelt ein buntes Bild davon, wie sich ein Leben in einem naturverbundenen Land anfühlt, in dem die Menschen nicht dem Trugschluss aufsitzen, Besitz mache glücklich – und uns damit ein neues, nachhaltiges Verständnis von Wohlstand vorleben.
Auf der einen Seite das Leben der Journalistin Lisa Napoli, die einem durchtakteten, vollgestopften Großstadtalltag entkommen möchte. Auf der anderen Seite ein Königreich, das erst 1999 das Fernsehen einführte, das 2006 ins Internetzeitalter startete – und in dem es noch immer keine Ampeln gibt.
Die Ausgangswelten in Radio Shangri-La könnten kaum gegensätzlicher sein. Und geben damit einem Europa, das angesichts der Eurokrise auf der Suche nach neuen Werten ist, eine Antwort, die zu denken gibt:
Das Bestreben, Glück zu mehren, kann – verwurzelt in Tradition – ein Magnet sein, der einer ganzen Gesellschaft zu mehr Sinn verhilft. Aber auch in einem Land wie Bhutan unterlaufen die Versuchungen der westlichen Moderne mit ihren kurzen, grellen Vergnügungen das Ansinnen des früheren Königs Jigme Singe Wangchuk, der das Bruttonationalglück einführte.
So sehr das kleine Land sich bemüht, Stolperfallen beim Übergang von der Monarchie zur modernen Demokratie zu umgehen, machen Napolis Schilderungen doch deutlich, wie viel Reifung dieser Prozess seinen Bewohnern abverlangt. In Windeseile wachsen die Städte Bhutans, innerhalb eines Jahrzehnts hat sich die Bevölkerung vervierfacht. Einfühlsam beschreibt Napoli, wie dieses Wachstum die spirituelle Essenz Bhutans auf eine harte Probe stellt. Beim Aufbau einer Radiostation für junge Menschen merkt die Journalistin, in welchem Maße Medien diesen Kulturwandel mit gestalten.
Das Leben ist voller Schönheit – und voller Widerspruch. Wer mit Lisa Napolis humorvollem Reisebericht die Intensität dieser erweiterten Perspektive kennenlernt, hat nicht nur ein exotisches Land bereist und erfahren, weshalb Häuser in Bhutan mit Genitalien bemalt werden, um böse Geister zu vertreiben. Jeder Mensch ist auf dem Weg, Ideale mit Leben zu füllen und sich so dem Glück näher zu bringen. Radio Shangri-La hält im Stile von Liz Gilberts Eat, Pray, Love viel Inspiration bereit, wie diese Kunst gelingen kann. Und schürt in uns die Gewissheit, dass das uns unzählige Möglichkeiten offen stehen.
Die Autorin:
Lisa Napoli arbeitet als Journalistin in Los Angeles. Ihre Karriere begann Anfang der 1980er Jahre bei CNN. Sie schrieb für die erste Internetausgabe der New York Times sowie in späteren Jahren für die Internet-Nachrichten-plattform MSNBC. Zuletzt arbeitete sie bei der amerikanischen Radiosendung „Marketplace“. www.lisanapoli.com