Abgemagert, ungelenk, lasziv. Die zunehmende, allgegenwärtige Inszenierung geschwächter und vielfach (fast) nackter weiblicher Körper soll offenbar verkaufsfördernd wirken. Aber auf wen?
Solche Modelle wackeliger Weiblichkeit stärken Mädchen und Frauen wenig, findet Senior Coach Morrien. Denn wer so steht, knickt leicht ein, ob privat oder beruflich. Aber wem dient das?
Die Kölner Kommunikationswissenschaftlerin steht mit ihren Fragen nicht allein da. Ein Vater empört sich. Seiner Töchter wegen. Und um seiner selbst willen.
Dr. Thomas Schlaun**:
Audiovisuelle Belagerung
Gleich zum Auftakt: Diese tägliche Zurschaustellung zumeist kindlich wirkender Frauen, zudem vollkommen sexualisiert, macht mich zunehmend wahnsinnig. Meine erwachsenen Töchter messen sich nämlich ausschließlich an diesen Vorbildern, weil es in der Öffentlichkeit praktisch keine attraktiven Modelle normal gekleideter, angemessen gewichtiger und älterer Frauen gibt.
Mein älteste Tochter ist 27 und glaubt, sie sei langsam zu alt und der Zug für sie endgültig abgefahren, weil sie noch immer nicht in einer festen Beziehung lebt. Meine zweite ist 24 und hungert, solange ich denken kann, um nur ja kein Gramm zu viel auf die Waage zu bringen. Meine dritte ist 21 und findet sich unattraktiv, weil sie meint, sie sei zu groß.
Ich finde weder meine Älteste mit ihren 27 zu alt, die Zweite kein bisschen zu dick und die Dritte mit ihren 182 cm genau richtig. Aber ich dringe nicht durch mit meiner Botschaft, auch meine Frau nicht. Wir mühen uns ab, aber gegen die überwältigende Botschaft, die auf allen Medienkanälen anderslautend auf uns alle eindrischt, haben wir offenbar keine Chance.
Ich will nicht die alten Zeiten hochloben: Aber die Nischen, die Rückzugspunkte, die Refugien, wo wir einfach mal ohne ständige audiovisuelle Belagerung sein konnten, haben doch merklich abgenommen. Überall werde ich mit diesen Karikaturen von Weiblichkeit konfrontiert, die als Köder lediglich dazu dienen, meine schlichtesten Instinkte zu reizen.
Jedem zu Diensten
Ich bin ehrlich: Klar macht mich das an, aber in einer Art, die mich zugleich total ärgert. Denn ich weiß ja, dass hier nur an meine Dominanzwünsche appelliert wird. Das hier mein Überlegenheitsgefühl stimuliert wird, mein Machtinstinkt geweckt, der darauf drängen soll, sich zu nehmen, was er braucht, egal um welchen Preis. Und ums Kaufen geht es ja.
Diese ständige Anmache erlebe ich als unglaublich lästig. Mehr noch, sie empört mich zunehmend, weil ich mir neuerdings vorstelle, das wären meine Töchter, die da vor aller Welt zur Schau gestellt werden als Lustobjekt, jedem zu Diensten. Diese Vorstellung macht mich wahnsinnig wütend. Seitdem träume ich von werbefreien Städten wie São Paulo!
Darüber spreche ich natürlich auch mit meinen Freunden. Stoße aber nicht wirklich auf Verständnis für meine Kritik an dieser Art Werbepraxis. Wobei mich das doch sehr wundert, weil die meisten selbst Kinder haben. Aber was draußen los ist, das hat mit ihren Töchtern zu Hause gar nichts zu tun. Das können die offenbar komplett abspalten.
Hinter verschlossenen Türen
Allerdings erklärt das auch, warum einige von ihnen hin und wieder auch schon mal ins Bordell gehen und sich da kaufen, was auf virtuellen und realen Straßen als Sexware angepriesen wird. Das ist allemal besser, als sich an den eigenen Kindern zu vergreifen, was ein ehemaliger Freund gemacht hat, dem ich dann die Freundschaft aufgekündigt habe.
Das ist mir nicht leichtgefallen, aber ich hätte ihn sonst anzeigen müssen, und das habe ich auch nicht geschafft. Das muss seine Frau machen, dachte ich, die muss doch merken, was da läuft mit seinen – und ihren – Töchtern. Also für mich hängt das zusammen: Dieser Ausverkauf des Weiblichen draußen und was dann hinter verschlossenen Türen an sexueller Gewalt läuft.
Jüngst las ich einen Artikel über Freud, der diesen als außerordentlich guten Vater vorstellte, weil er – im Gegensatz zu den Vätern vieler seiner Klientinnen – seine Kinder nicht sexuell missbraucht hat. Das macht mich doch stutzig: Wenn Freuds sexuelle Zurückhaltung gegenüber seinen Töchtern so außerordentlich ist, was ist dann das Übliche?
Wenn für Mädchen draußen wie drinnen der Übergriff das eher Übliche ist, dann erklärt das auch, warum sich immer wieder junge Frauen finden, die sich freiwillig bereit erklären, sich in dieser Weise darzustellen und so ihr Geld zu verdienen. Wer früh erlebt, dass die eigenen Grenzen nicht respektiert werden, lernt, leicht über die eigenen Grenzen zu gehen.
Käuflicher Sex als Droge
Laut einschlägiger Studien ist ja längst bekannt, dass 98 Prozent aller Prostituierten in ihrer Kindheit sexuellen Gewalt erlebt haben. Vielleicht erklärt sich so auch dieser bemerkenswerte Zufall: Einer meiner Freunde ließ sich auf einer Geschäftsreise ein Callgirl ins Hotel kommen und plötzlich stand die Tochter einer Bekannten vor ihm, von der er wusste, dass sie durch einen Onkel jahrelang sexuelle Gewalt erlebt hatte..
Dazu muss man sagen, dieser Freund steht als Manager total unter Druck. Der muss einfach Dampf ablassen. Sonst hält der diesen Dauerstress gar nicht durch. Der braucht dafür in seiner Position unbedingt ein Ventil. Und er regelt die Sache über Sex, den er sich kauft. Die Frauen hat er dabei eigentlich gar nicht im Blick.
Ihre Dienste schätzt er jedoch durchaus. Sie kriegen auch immer ordentlich Trinkgeld, noch was obendrauf, sagt er. Aber ich finde, das ändert doch nichts daran, dass diese Mädchen offenbar nur dazu da sind, die ganze Schräglage aufrechtzuerhalten. Die sind doch eine Droge, eine Sexdroge. Wird der Druck stärker, braucht es noch mehr Drogen, logisch.
Da wundert mich kein bisschen, dass es allein in London inzwischen fast 80.000 Frauen in der Prostitution gibt, die in fast 1.000 Bordellen tätig sind. Die Zahl der Kunden hat sich in den Neunzigerjahren Jahren verdoppelt und entspricht dem europäischen Standard, heißt es dazu in einem Bericht des britischen Innenministeriums.
Mir ist schleierhaft, wie man als Mann ausblenden kann, was doch auf der Hand liegt: Diese Frauen zahlen für ihren Dienst mit schweren seelischen Schäden. Posttraumatische Belastungsstörungen sind üblich, die oft mit einer Persönlichkeistabspaltung einhergehen. Ich habe mich lange gefragt, warum Frauen das überhaupt machen?
Nachschub aus Osteuropa
Vor einigen Jahren habe ich endlich kapiert, woher der ganze Nachschub für diesen gigantischen Bedarf stammt. Da waren wir in Prag, und meine Frau hatte sich die dortige Prager Zeitung gekauft zum Frühstück. Sie war ganz überrascht, darin ein Mitarbeiterinnengesuch des Kölner Clubs „Pascha“ zu finden, für Tabledance.
Da wir in der Nähe des „Pascha“ wohnen, muss ich seitdem immer mal wieder an dieses Gesuch denken. Inzwischen weiß ich auch einiges über den internationalen Mädchenhandel und darüber, dass da große Geschäfte gemacht werden, oft im Einvernehmen mit den Behörden. Es gibt da offenbar eine unheilige Allianz, die die ganze Sache deckt.
Kein Mensch außer mir scheint sich wirklich aufzuregen. Im Supermarkt wird weiter eingekauft und die Fahrgäste der S-Bahn scheinen die sexistischen Botschaften auch nicht zu stören. Aber vielleicht hört auch nur niemand außer mir den hilflosen Schrei unserer Töchter.
*Der deutsche Werberat nimmt Beschwerden über rassistische, sexistische, antisemitische, homophobe Werbung entgegen und rügt ggf. die entsprechenden Unternehmen. Der Vatertext ist aktuell inspiriert von der Werbung von H&M, weg.de und hrs.
**Dr. Thomas Schlaun ist Astrophysiker am Max-Planck-Institut. Diese Angabe folgt dem Wunsch des Autors, seine wahre Identität zu verbergen mit Rücksicht auf seine Familie. Es handelt sich insofern um das Heteronym eines bekannten Autors.
LITERATUR-TIPPS:
Rolf Pohl: Feindbild Frau. Männliche Sexualität, Gewalt und die Abwehr. Offizin
Pornografisierung von Gesellschaft. FH-Konferenz Oktober 2010
Lea Ackermann: In Freiheit leben, das war lange nur ein Traum. Kösel 2010
Myrthe Hilkens: Die Pornofizierung unserer Gesellschaft. Orlanda 2010
Hinweis von Coaching-Bloggerin Birgitt Morrien:
„Ich kenne kaum einen Schriftsteller, der mehr Heteronyme hatte als Fernando Pessoa. Er fand immer gute Gründe dafür, statt des eigenen Namens einen imaginären vorzuziehen.
Insbesondere die Schriftstellerinnen vergangener Jahrhunderte machten fleißig von dieser Möglichkeit Gebrauch – wie etwa George Sand. Erst die Verschleierung ihres Geschlechtes erlaubte es ihr und vielen anderen, ungehindert zu schriftstellern und publizieren.
Mit dem Ergebnis, dass sich hinter dem wohlklingenden Namen so manch eines Autoren womöglich eine Autorin verbirgt. Selbst Shakespeare soll eine Frau gewesen sein, las ich jüngst bei Robin Williams, einem US-Forscher. Hinter dem Pseudonym verberge sich tatsächlich die Gräfin von Oxford, Mary Pembroke, die von 1561 bis 1621 lebte."
Erstveröffentlichung am 26.06.2010 im Coaching-Blogger unter dem Titel:
Know-how für Kicker: Vaterworte über das Verschweigen.
Zweitveröffentlichung am 6.10.2010 im Coaching-Blogger unter dem Titel:
Saving Martha! Die Grenzen des Marketing
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