Thinktank-Traum: Über Schaffenskraft, Scham und virtuose Schlafkunst

Die Kunst nachhaltiger Schaffenskraft liegt wohl darin, Selbermachen, Machenlassen und Liegenlassen klug miteinander zu verbinden.

Wenn mich, wie aktuell, neben meiner Beratungsarbeit gleich mehrere Buchprojekte ganz in Atem halten, lasse ich hier auch schon mal andere ran.

Bevorzugt Schreibgewohnte, gern verwandt, dem Geist oder dem Namen nach oder gleich beides: Adriaan Morrien übernimmt heute mit „Schlafen ist eine Kunst“.

Wenngleich der Text älter ist, ist doch sein Thema aktuell. Denn Schlafstörungen sind die heimlichen Begleiter der Globalisierung, die wach werden, wenn sich der Tag zur Ruhe neigt.

In seinem Text erinnert Morrien an den Nachkriegsjungen Adriaan, dessen Nachtschlaf sich in Zeiten größter räumlicher Enge doch wundersam auszubreiten verstand.

Ein schöner Umstand für mein Beratungskonzept DreamGuidance, das nebst Kopf- und Bauchwissen auch auf die Gaben der Intuition vertraut. Und diese gedeihen vorzüglich nur

in Dunkelzeiten: Von dort treten sie durch die Tür von Traum und Trance in unser Tagesbewusstsein und berichten aus jenen uns nur so fassbaren Dimensionen des Wissens.

Wo wir neue Lösungen brauchen, können wir auf diese Ressource nicht verzichten. Ihre Impulse verweisen uns auf bisher unbeachtete oder unbekannte Wege. Und dahin 

bringt uns der Schlaf, wo wir abschalten, um auf Empfang zu gehen. Eine schonendere Art Wissen zu generieren ist mir nicht bekannt, auch keine intelligentere!

Statt mit Scham dürfen wir endlich mit Stolz auf unsere Schlafbotschaften schauen. Sie sind die greifbaren Lehrmeister unserer nächtlichen Thinktanks.

Ihnen Zeit zu schenken, heißt, sie begreifen zu lernen. Eine Übung für Fleißige, die sich dem großen Wissen überlassen, wenn der Kopf mit seinem Latein am Ende ist.

 

 

Schlafen ist eine Kunst

Ich bin in einem Wandbett geboren worden. Es ist leider schon zu lange her, als dass ich mich dessen schämen würde. Nachdem ich zu groß für eine Wiege geworden war, schlief ich mit meinem Bruder und meiner Schwester in einem der beiden Wandbetten im Wohnzimmer. Es war gewiss ungesund, andererseits aber auch gemütlich in diesem tiefen Schlafschrank, dessen Türen meine Mutter jeden Abend schloss, sodass  nur ein kleiner Streifen Licht durch einen Spalt zu uns drang.

Wir hörten Vater und Mutter gedämpft sprechen, damit sie uns nicht vom Einschlafen abhalten würden. Manchmal redeten unseren Eltern über uns, um uns zu necken oder um unseren Ehrgeiz zu erwecken, um unsere Bravheit anzuspornen. Hie und da fielen wir ihnen in die Rede, weil wir uns nicht länger beherrschen konnten. Dann zeigten sich unsere Eltern höchst verwundert. Ich glaube, ich höre jemanden, sagte mein Vater. Aber nein, erwiderte meine Mutter, es ist niemand da, und die Kinder schlafen schon. Wir sind noch wach, riefen wir im Chor.

Derartige Wechselgespräche wurden unmöglich, als wir zu unserer Nachtruhe auf den Dachboden zogen. Meine Eltern schliefen von da an in der Mansarde, die mein Vater auf dem Dachboden hatte zimmern lassen und die gerade groß genug für Ehebett, einen Nachttisch und eine Holzkommode mit imitierter Marmorplatte war, auf der eine Waschschüssel, eine Seifen- und eine Kammdose standen, Dinge, die meine Eltern nie gebrauchten, die jedoch in einem richtigen Schlafzimmer nicht fehlen durften, da sie vom Wohlstand und von der Zivilisation der Eigentümer zeugten.

Wir Kinder schliefen auf dem Speicher unter dem schrägen Dach in eisernen Bettgestellen mit Messingknöpfen, die gelegentlich verloren gingen. Ich wurde traurig, wenn ich feststellte, dass die Messingknöpfe nicht mehr vollzählig waren, als sei ein tiefer Zusammenhang, ein rätselhaftes Gleichgewicht gestört worden. Ich musste ein Bett mit meinem Bruder teilen; meine Schwester schlief im anderen, ein- für allemal von uns getrennt. Trotzdem lagen wir auch dort herrlich.

Ängstlicher, weil wir so weit vom Wohnzimmer weg waren und die Stimmen unserer Eltern nur aus der Ferne hören konnten, die meines Vaters als Gebrumm, die meiner Mutter durch den Abstand wie eine Mädchenstimme. Wir vernahmen nur noch Intonationen, und manchmal dauerte es eine Weile, ehe wir sicher waren, ob unsere Eltern sich zankten oder einfach unterhielten.

Verglichen mit dem Wandbett hatten wir auf dem Dachboden einen wesentlich intimeren Kontakt mit der Umwelt. Wir hörten, wie der Regen auf die Ziegel prasselte, und im Winter fror es mitunter wirklich so, dass es krachte. Spatzen nisteten zu unseren Häuptern. Der Mond schien durch das hohe Dachfenster herein. Im Sommer sandte die Sonne ihre Strahlen durch die kleinsten Löcher und Risse von Holz und Sparren.

In ein Wandbett werde ich wohl nicht mehr passen. Aber noch immer ist es mein Traum, in einem Haus mit einem Dachboden zu wohnen, auf den ich mich nachts zurückziehen könnte, einem Dachboden mit einem breiten Messingbett, einem Tisch, ein paar Stühlen und einem kleinen Schrank für Bücher und Kleider, alles ganz hell und vielleicht ein wenig streng, sodass ich mich völlig auf meine Nachtruhe konzentrieren kann.

Die Wohnungsnot zwingt uns, mit jedem Raum zufrieden zu sein, der als Schlafstätte verwendet werden kann. Jeden Abend müssen wir unsere Betten ihrer Vermummung entkleiden, mit der wir ihnen tagsüber den Anschein einer Couch oder Bank gegeben haben. Viele von uns schlafen in Zimmern, in denen sie sich den ganzen Tag aufgehalten haben, sodass der Unterschied zwischen Schlafen und Wachsein verwischt wird. Es mag zwar ganz praktisch sein, aber für mich ist es ein Mangel an Lebenskunst, ein Verlust an Intimität, die durch ein eigenes Schlafzimmer bewahrt bleibt.

Auf meinem Dachboden würde ich mich meiner Nachtruhe wie einer Kunst widmen, die ich nun nur flüchtig betreibe. Ich würde wieder zu dem raffinierten Schläfer, der einzig und allein in meiner Jugend zum Zuge kam. Ich würde mit jener Virtuosität schlafen, für die ich ausgesprochen begabt bin. Und der Gedanke, nie wieder aufzuwachen, würde mich unter den Ziegeln des Daches, in der unsichtbaren Gesellschaft der Spatzen und im Schutze des Sternenscheines auf die Dauer wohl nicht mehr so abschrecken. Aber ich würde bestimmt dafür sorgen, dass die Knöpfe meins Bettes nicht verloren gehen, damit ich nicht unnötig traurig werde.

 

Adriaan Morrien (1912-2002)

“Der liebe Rebell”,
Biografie von Rob Molin &  Bibliografie
http://home.tiscali.nl/sylvester/morbio.htm

Morrien mit Maske
http://bc.ub.leidenuniv.nl/bc/tentoonstelling/morrien/images/html/fmormasberh.htm

 

Bücher von Birgitt Morrien:
www.cop-morrien.de / Publikationen

Mehr über die Morrien-Geschichte
http://de.wikipedia.org/wiki/Morrien

 

 

 

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