Dreamtime im Management Teil 2: Die Logik intuitiver Wahrnehmung

Träume als Seismographen für Veränderung zu nutzen, teile ich als Anliegen mit W. Gordon Lawrence. Mein Londoner Kollege befasst sich seit Jahren intensiv mit der sozialen Dimension der Träume in der Management-Beratung. Gern stelle ich Ihnen in drei Teilen sein Konzept „Social Dreaming“ vor, das hilft, klinisches Traumverständnis aufzulösen, um die Ressource Traum umfassender einzusetzen.

Im heutigen Beitrag geht es u.a. um die Geschichte einer Unternehmensfusion, deren zukünftige Entwicklung von einigen Führungskräften als „Geschichte vom kleinen Vasallen und dem fetten Herzog“ träumend vorweggenommen wird.

1.3       Social Dreaming als Instrument in Beratung
             und Aktionsforschung

1.3.1    Das Manager/-innenseminar (Traummatrix)
             Die Geschichte vom kleinen Vasallen
             und dem fetten Herzog

Als Lawrence am Tavistock Institute arbeitete, gab es noch keinen Bezugsrahmen, der es ihm ermöglicht hätte, Träume im Zusammenhang mit Beratung oder Aktionsforschung zu denken. Dennoch waren Dinge vorgefallen, die ihn motivierten, selbst damit anzufangen.

Im Rahmen einer Studie zur Managemententwicklung hatte Lawrence 1975 in britischen Firmen zahlreiche Interviews durchgeführt und erfuhr dabei von einem Manager einen bezeichnenden Wiederholungstraum: Jeden Tag musste der Manager auf dem Weg zur Arbeit einen Friedhof durchqueren. Die Assoziationen dazu förderten die Annahme, der Firma stünde eine große Finanzkrise bevor, die schlimm enden könne. Der Manager war deprimiert, da die meisten seiner Kollegen diese Möglichkeit kategorisch ausschlossen.

Aufgrund dieser Abwehr wurde Lawrence klar, dass die meisten Managerkollegen miteinander die Fantasie einer unsterblichen Firma teilten. Die Firma fungierte als „Container“, in den sie eigene Zukunftsängste hineinprojizieren konnten, um sich selbst darüber zu stabilisieren (vgl. Lawrence 1998, S.123 f.).

Auf dem Weg von diesem Erlebnis bis zu einem brauchbaren Profil von Social Dreaming als Instrument für Beratung und Aktionsforschung“ war insbesondere ein Projekt sehr hilfreich. Am William Alanson White Institute in New York wurde über den Zeitraum von drei Jahren ein Programm unter dem Titel „Social Dreaming als Memoiren der Zukunft: Ein Aktionsforschungs-Projekt“ durchgeführt. Dort machten die Studentinnen und Studenten der Abteilung für Organisationsentwicklung die Erfahrung, dass Social Dreaming sowohl ihre kollegialen wie auch ihre Beziehungen in der Hierarchie klären konnte, was das Institutsleben insgesamt erhellte (vgl. ebd., S. 125).

Lawrence stellt mit Social Dreaming nicht den Nutzen und Wert klassischer, psychoanalytischer Arbeit infrage. Ihm geht es vielmehr darum, „die soziale Dimension von Träumen zu unterstreichen“ (Lawrence 1995, S. 5). Die zentrale Aufgabe von Social Dreaming ist es dabei, „zu den eigenen Träumen und denen der anderen Matrix-Teilnehmer/-innen zu assoziieren, um Beziehungen zu knüpfen und Verbindungen zu finden“ (Lawrence 1998, S. 125).

 

1.3.1           Das Manager/-innenseminar (Traummatrix)

Nach vierjähriger Erfahrung in der Durchführung eines Seminars in Frankreich mit dem Präsidenten und Managementdirektoren einer Gruppe von Firmen nahm Lawrence 1994 erstmalig die Soziale Traummatrix in sein dortiges Programm auf. Die Lage der Nationalökonomie war angespannt, das Konsumverhalten rückläufig und der Wettbewerb wuchs stetig. Die Teilnehmer/-innen des Seminars sprachen von erschwerten Bedingungen, unter denen sie ihre Geschäfte leiteten, von einem „casino des incertitudes“.

Der Zeitpunkt war gut gewählt, etwas Neues zu wagen. Social Dreaming sollte den Teilnehmern helfen, Wege zu finden, um mit der unsicheren Situation zufriedenstellender umgehen zu können. Das Seminar dauerte drei Tage und Lawrence stellte seine Erfahrungen mit Social Dreaming in vergleichbaren Settings an den Anfang, um zu zeigen, dass „Leute mit belastenden Geschäftsproblemen von der Erfahrung profitieren können“ (Lawrence 1995, S. 5).

Die beiden ersten mitgeteilten Träume zeigten einen Manager im Aufzug und die Präsentation eines neuen Firmenkataloges auf einer Gangway. Mit dem Traum vom Aufzug artikulierte ein Teilnehmer gleich zu Beginn seine Befürchtungen und seine Skepsis bezogen auf den Sinn des Seminars. Er sei unter den aktuellen Bedingungen zusehends damit beschäftigt, die Balance zu halten. In diesem Zusammenhang stellte sich der geträumte Aufzug als Verbindung zwischen Unbewusstsein und Bewusstsein, zwischen Traum und Wachsein bzw. Wirklichkeit heraus (vgl. ebd., S. 6). Die innere Balance stellt sich also dar als Voraussetzung für den gelasseneren Umgang mit äußeren Schräglagen.

Die Präsentation eines neuen Firmenkataloges auf der Gangway in zugleich eleganter, kalter und bizarrer Atmosphäre kristallisierte sich als Bild neuer Marketingstrategien heraus. Die Firma verfügte allerdings schon über einen neuen und attraktiven Katalog, auch über Bestseller, aber der erforderliche Überschuss war noch nicht eingetreten. „Kalt“ wurde vor diesem Hintergrund mit der Kälte des Marktes assoziiert und „Eleganz“ mit der Bereitschaft zu hoher Investition. „Bizarr“ entpuppte sich als Hinweis auf „hohen Stress und einen gewissen Sinn von Verfolgungswahn in der Firma des Managers angesichts des vergleichsweise ausbleibenden Erfolgs“ (ebd.).

Die Summe aller Verunsicherung zeigte sich jedoch im Traum vom kleinen Vasallen und dem fetten Herzog. Wann immer der kleine Vasall auf seinem thronähnlichen Stuhl sitzt, strahlt das hellste Licht und erleuchtet die ganze Stadt. Der fette Herzog kommt zu Besuch und gemeinsam sehen sich die beiden eine frei schwebende innovative Spiralenkonstruktion an, die der Sohn des Vasallen, ein Architekt, entworfen und an der Decke angebracht hat. Da wird dem fetten Herzog vorgeschlagen, sich zum kleinen Vasallen auf den Thron zu setzen, um das Licht so noch zu verstärken. Dabei befürchtet der kleine Vasall jedoch, vom fetten Herzog erdrückt zu werden. Tatsächlich verhöhnt der fette Herzog den kleinen Vasallen schließlich vor dessen eigenem Sohn.

Die Assoziationen der Matrix-Teilnehmer ergab folgende Erklärung: Mit dieser Fabel drückt ein Teilnehmer seine Besorgnis über die fortschreitende Veräußerung von Teilen der französischen Firmengruppe an deutsche Anteilseigner aus. Der kleine Vasall und der fette Herzog stehen dabei für die Anteilseigner, der kleine Vasall repräsentiert die französischen und der fette Herzog die deutschen Anteilseigner. In der Unverhältnismäßigkeit der beiden Gestalten scheint sich die Sorge des Träumenden auszudrücken, von den Deutschen „platt gemacht“ zu werden. Ein Umstand, der im Traum vom fetten Herzog benutzt wird, um den kleinen Vasallen vor dessen Sohn zu blamieren. Das beschämende Empfinden vom Ausverkauf des eigenen Vermögens an den fetten Herzog tritt ans Licht. Die Transaktionen verändern den ganzen Raum. Die Spirale wird als DNA der Firmengruppe gedeutet, als Identität, die neu gestaltet werden muss. Die neue Generation, der Sohn und Architekt, übernimmt diese Aufgabe.

Die weitreichenden, durch die veränderten Besitzverhältnisse ausgelösten kulturpolitischen Veränderungen waren den Managern zwar „irgendwie bewusst“ gewesen, ohne jedoch bis dahin öffentlich als Frage nach der neuen politischen Struktur der Organisation formuliert worden zu sein. Die veränderte ökonomische Situation hatte auch die psychische Selbstwahrnehmung der Beteiligten deutlich verändert. Mit diesem Traum erklärte sich die Notwendigkeit, schwächende Tabus aufzudecken und zu reflektieren (vgl. Lawrence 1995, S. 10).

 

Hinweis:

Teil III. folgt noch vor Weihnachten 2006

Literaturhinweise und weitere Informationen auf Anfrage:

www.dreamguidance.de

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