Berlin: Das Begräbnis der Christa Wolf. Oder: Wie in Trance, hellwach zu sein

Fast wäre ich dort gewesen, ihr das letzte Geleit zu geben, hätten mich nicht wichtige Geschäfte davon abgehalten. Eine Entschuldigung findet sich immer. So blieb mir nur das Bedauern darüber, diese einmalige Gelegenheit unwiderruflich verpasst zu haben. Auch die Chance, Martin Walser, Klaus Wowereit und Christian Wulff leibhaftig zu treffen, die ich sämtlich dort erwartet hätte.

Doch wie ich lese, keiner von ihnen war schließlich da. Das Begräbnis der Christa Wolf, kein Staatsakt. Die warme, wohltönende Stimme dieser Frau, eine Jahrhundertstimme, verstummt. Doch in der Stille dieses Abschiedes schwingt das Echo eines Verschweigens mit. Das ihrer Bedeutsamkeit und des ihr verweigerten Ruhms. Sehr systematisch ihr vorenthalten. Mit vollmundiger Stimme ihr abgesprochen nach der Wende. Für ein Verfehlen*, zumal vielfach vergolten, abgestraft. Bis heute.

Oft habe ich ihre Stimme in den vergangenen 20 Jahren vermisst. Ihr kluges Urteil. Ihr angenehmes Timbre in so mancher Talk-Show zu dringlichen Themen der Zeit. Die schriftstellernden Stimmen der Alten, die hier befragt wurden, waren die alter Männer.  Ein Pendant vom Format der Wolf hätte den Gesprächsrunden jedoch gut getan, sie bereichert um einen Blick, den sie weder einnehmen konnten noch wollten: Der Blick der Ausgegrenzten, geschärft für das Besondere im Banalen. Der Blick einer schreibenden Frau, wie sie selbst in Deutschland Zuhause, doch abgespalten. In die Unsichtbarkeit abgeschoben, verdrängt.

Ich bedaure und betrauere dieses Unrecht. Und mit mir offenbar Corinna Harfouch, die am Grab die Stimme eines Exil-Erfahrenen** zitierte: „Sei dennoch unverzagt! Gib dennoch unverloren! Weich‘ keinem Glücke nicht, steh höher als der Neid, vergnüge dich an dir und acht es für kein Leid, hat sich gleich wider dich Glück, Ort und Zeit verschworen.“

Das Tabu ist gelüftet. Zeit,
ihr Werk neu zu würdigen,
lesend***.

 

Birgitt Morrien


Anmerkungen: 

*Sie hatte einige Berichte für die Stasi geschrieben, drei, soweit ich weiß. Positiv, wohlgemerkt. Und war anschließend selbst von der Stasi überwacht worden.

**Paul Fleming lebte im Dreißigjährigen Krieg zwei Jahre lang im persischen Isfahan. Zurück in Deutschland wurde er Doktor der Medizin, bevor er mit erst 30 Jahren starb.

***Ein Appell, vor allem auch an mich selbst gerichtet: Die Radikalität jener Geste, die zu einem Buch greift, das seit Jahren auf mich wartet. Mich den Anforderungen des Hier und Jetzt, allesamt fraglos wichtig, für eine Weile zu entziehen. Einfach, um mich mir ihr zu treffen, abzutauchen in die große Ruhe jener von ihr so eindrücklich geschilderten Unruhen. Darin mir selbst neu zu begegnen, wie in Trance, hellwach zu sein.

 

Ausgewählte Werke von Christa Wolf:

Kindheitsmuster
Kein Ort. Nirgends
Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud

 


3 Gedanken zu “Berlin: Das Begräbnis der Christa Wolf. Oder: Wie in Trance, hellwach zu sein

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